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Gentechnik: Wahlfreiheit in Gefahr

(lid) – In der EU steht der grossflächige Anbau von gentechnisch veränderten Kulturen bevor. Die konventionelle Landwirtschaft soll weiterhin gentechnikfrei produzieren können. Das Nebeneinander soll mit Vorschriften geregelt werden. Skeptiker fürchten trotzdem um die Wahlfreiheit.

Von David Eppenberger

In der Schweiz sorgen acht Quadratmeter bepflanzt mit Gentech-Weizen seit Jahren für Aufregung. Der Weizen wächst als Freilandversuch der ETH Zürich in Eschikon ZH, die Parzelle wird mit Hilfe von Vogelnetzen, Schneckenzäunen und pollendichten Zelten zum Hochsicherheitsacker. Die Gegner lassen sich von den vollendeten Tatsachen nicht abhalten und protestieren weiterhin. Sie sehen den Versuch als „Türöffner“- Experiment für weitere grossflächige Freilandversuche mit Pflanzen, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten. Während sich in der Schweiz Befürworter und Gegner der Gentechnik um ein paar Quadratmeter Versuchsfläche streiten, steht in unseren Nachbarländern bereits der kommerzielle Anbau von GVO-Kulturen in den Startlöchern. In einigen Ländern hat er diese bereits verlassen: Die spanischen Landwirte säten bereits im vergangenen Jahr auf einer beachtlichen Fläche von 32.000 Hektaren GVO-Mais aus.

Druck aus Ãœbersee

Seit die drei wichtigsten „Gentech-Nationen“ USA, Kanada und Argentinien bei der WTO Klage gegen die Europäische Union einreichten, ist das politische Klima in der EU zugunsten der so genannten grünen Gentechnik umgekippt. Das in den meisten EU-Ländern seit 1998 geltende de facto Moratorium ist beendet, neue Gesetze wurden erlassen. Erste Neuzulassungen für den Anbau von GVO-Pflanzen erfolgten bereits im Herbst. Obwohl Umfragen immer wieder zeigen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung sowie der Landwirte der neuen Technik gegenüber kritisch eingestellt sind, steht der endgültige Einzug der Gentechnik auf EU-Äckern bevor. Immerhin sollen die Konsumentinnen und Konsumenten selber entscheiden können, ob sie „Genfood“ kaufen oder meiden wollen. Deshalb muss in der EU ein Produkt, das mehr als 0,9 Prozent Anteile rechtlich zugelassenes GVO-Material enthält, seit Mitte April mit einer Etikette „gentechnisch verändert“ beschriftet werden. Auch im neuen Schweizer Gentechnikgesetz, das seit Anfang Jahr in Kraft ist, ist die Wahrung der Wahlfreiheit ein absolut zentraler Punkt.

Nulltoleranz ist zur Illusion geworden

Allerdings bestehen berechtigte Zweifel, ob diese Erwartungen langfristig erfüllt werden können. Denn der grossflächige Anbau von GVO-Kulturen insbesondere in Nordamerika hat zur Folge, dass bereits heute bei wichtigen Rohstoffen wie Soja, Mais oder Baumwolle kaum mehr GVO-freie Ware erhältlich ist. Skeptiker befürchten, dass durch Pollenflug, Warenvermischung oder unkontrollierte Samenverbreitung langfristig die „GVO-Freiheit“ zur Makulatur wird. Eine Untersuchung der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg wies schon im letzten Jahr in einer Reihe von Nahrungsmittelproben bei 32 Prozent GVO nach. Dies macht deutlich: Die Nulltoleranz, also die hundertprozentige Gentechfreiheit, ist endgültig zur Illusion geworden. Es geht nur noch darum, dass wenigstens die Grenzwerte eingehalten werden können. Damit die Grenzwerte ihre Funktion als taugliches Mittel für das Bewahren der Wahlfreiheit erfüllen können, sind weitere gesetzliche Regeln notwendig. Da am Beginn der ganzen Produktionskette das Saatgut steht, sind in diesem Bereich noch einmal strengere Werte gefragt. „Wegen ihren verschiedenen Eigenschaften müssen für jede Pflanze eigene Werte festgelegt werden“, erklärte EU-Agrarkommissar Franz Fischler Anfang Jahr in einem Interview im Sender „Deutschlandradio“. Die EU-Kommission hat Saatgut-Toleranzwerte von 0,3 Prozent beim Raps, 0,5 Prozent beim Mais oder 0,7 Prozent bei den Sojabohnen vorgeschlagen. Skeptiker bezweifeln aber, dass der Grenzwert von 0,9 Prozent GVO-Anteilen in den Lebensmitteln so erreicht werden kann. Je stärker der Rohstoff verarbeitet wird, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines höheren GVO-Anteils. Während die Gentechnik-kritische Seite einen deutlich tieferen Wert fordert, geht den Saatgutzüchtern der EU-Vorschlag zu weit.

Schlacht der Studien um die Koexistenz Eine Schlüsselfunktion zur Erreichung der Grenzwerte fällt den Regelungen um die so genannte Koexistenz zu, dem Nebeneinander zwischen gentechnischer und konventioneller Landwirtschaft. Fragen wie Parzellenabstände, Fruchtfolgeregelungen oder Haftung stehen im Zentrum der derzeit in vielen Ländern laufenden Diskussionen. Als Entscheidungsgrundlage dienen dabei auch wissenschaftliche Studien. Die EU-Kommission hat in mehreren Studien durchrechnen lassen, wie die Koexistenz in der Praxis aussehen könnte. Als Knackpunkt stellten sich die Schaffung von Grenzwerten für Spuren von GVO beim Saatgut heraus. Denn je tiefer diese angelegt werden, desto aufwendiger und kostspieliger wird es, sie einzuhalten. Beim Rapssaatgut wurde für einen Schwellenwert von 0,1 Prozent eine Kostensteigerung von bis zu 40 Prozent berechnet. Der Raps gilt als die Problempflanze in der grünen Gentechnik, weil er im Gegensatz zu Mais oder Kartoffeln in Europa viele verwandte Wildarten findet, mit denen er auskreuzen kann. Aufgrund der Modellrechnungen empfehlen die Forscher deshalb einen dauerhaften Isolationsabstand von 300 Metern zwischen den Rapspflanzen. Die Verfasser einer anderen Studie der Europäischen Umweltagentur (EEA) aus dem Jahr 2002 stützen diese Empfehlungen und kommen zum Schluss, dass die Auskreuzungsrate mit zunehmendem Abstand drastisch abnimmt, obwohl vereinzelte Auskreuzungen in einer Entfernung von vier Kilometern beobachtet wurden. Bei einer Distanz von 100 Metern zwischen zwei Rapsfeldern fanden die Wissenschafter in rund 0,5 Prozent der Pflanzen genetisches Material der Sorte des jeweils anderen Feldes. In einer australischen Feldstudie aus demselben Jahr wurden allerdings bis zu einer Distanz von drei Kilometern Pollen von herbizidresistentem in konventionellem Raps nachgewiesen. Noch rund achtmal weiter flogen die Bienen mit Rapspollen in einer Studie des britischen Landwirtschaftsministeriums.

Die Grösse des Feldes spielt eine Rolle

Im vergangenen März präsentierten spanische Wissenschafter vom Institut de recerca i tecnologia agroalimentàries die Resultate eines gross angelegten Freilandversuchs mit gentechnisch verändertem Bt-Mais. Dabei zeigte sich, dass der für Lebensmittel relevante Grenzwert von 0,9 Prozent unterschritten wird, wenn das an ein GVO-Maisfeld angrenzende konventionelle Feld mehr als eine Hektare gross ist. Eine etwas ältere Studie aus Braunschweig stellte bei einem früheren Freilandversuch fest, dass nach 50 Meter Entfernung die Auskreuzungshäufigkeit generell unter einem Prozent liegt. Die spanischen Forscher empfehlen bei kleineren Feldern grössere Abstände zu den GVO-Maisfeldern einzuhalten, sowie das Bepflanzen von vier Reihen mit Nicht-GVO-Mais als Puffer. Voraussichtlich Ende April wird die EU-Kommission einen definitiven Vorschlag für die Saatgut-Grenzwerte vorlegen, über den der zuständige Regelungsausschuss Anfang Mai entscheiden wird.

Dänemark in Vorreiterrolle

Als erstes Land in der EU hat Dänemark Ende Februar in einem Gesetzesentwurf Koexistenz-Regeln aufgestellt. Eine vom dänischen Landwirtschaftsministerium eingesetzte Arbeitsgruppe lieferte die Grundlagen dazu. Sie empfahl als wesentliche Koexistenz-sichernde Massnahmen die Einhaltung von Abstandsflächen zwischen GVO-Pflanzen und konventionellem Anbau, Pufferzonen am Rande von Feldern und Fruchtfolgemassnahmen. Das Gesetz sieht vor, dass ein dänischer Landwirt, der gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen will, sich mit seinem Nachbarn absprechen muss. Ausserdem werden die Saatgutfirmen und die Bauern verpflichtet, Informationen über die Aussaat von GVO an das dänische Pflanzendirektorat zu melden. Die Landwirte haften zudem nur für Schäden, wenn gegen geltendes Recht verstossen wurde. Weit schwieriger tut man sich mit der Ausarbeitung von gesetzlichen Vorschriften in Deutschland. Der Entwurf wurde Anfang April von der deutschen Länderkammer, dem Bundesrat, abgelehnt. Vor allem in den Kernpunkten Koexistenz und Haftungen liegen die Auffassungen von Regierung und Ländermehrheit weit auseinander.

Die Wahlfreiheit ist teuer – Bio auch

Die Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit zwischen GVO- und konventionellen Produkten wird die Produzenten und Konsumenten teuer zu stehen kommen. Mit jedem zehntel Prozent tieferen Grenzwert steigen die Kosten für strengere Anbaubedingungen, Kontrollen, Probenahmen, und Analysen. Besonders betroffen von der erwarteten GVO-Offensive in der EU ist deshalb der biologische Landbau mit seinen tiefen Grenzwerten. Mit einem Aufpreis von bis zu sieben Prozent auf den Endpreis einer Bio-Tortilla-Packung rechnet der Deutsche Bio-Grossist Rapunzel Naturkost AG. Weil auch Bioprodukte weltweit gehandelt werden, ist auch die Schweiz davon betroffen. Bio Suisse hat keinen spezifischen Wert festgeschrieben und richtet sich nach den allgemein gültigen Grenzwerten. In ihren Empfehlungen für importierte Bioprodukte empfahl sie ihren ausländischen Produzenten aber schon vor zwei Jahren, Sicherheitsabstände von vier Kilometern beim Raps, einen Kilometer beim Mais und 50 Meter bei Soja einzuhalten. Die angestrebte Zielgrösse betrage jedoch weiterhin Null, bestätigte Markus Wittmer von Bio Suisse auf Anfrage.

Aus für Bio?

Selbst Leute aus der eigenen Brache raten aber davon ab. „Ja nicht die Nulltoleranz auf die Fahnen schreiben!“ warnte Ralph Weishaupt, Leiter Bereich Qualitätssicherung bei Rapunzel im Herbst an einer Tagung zum Thema in Berlin. Zu gross sei das Risiko von Glaubwürdigkeitsverlusten. Am gleichen Anlass meldeten die Bioanbauverbände Zweifel darüber an, ob es in einigen Jahren überhaupt noch möglich sein wird, den maximalen Wert von 0,9 Prozent GVO-Anteilen in Lebensmitteln einzuhalten. Damit wäre die Biolandwirtschaft in der EU in ihrer Existenz gefährdet. Denn es ist kaum vorstellbar, dass die sensible Kundschaft Bioprodukte kaufen wird, auf deren Rückseite ein Etikett „enthält GVO“ klebt.

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