Katastrophenforscher kritisiert Behörden im Umgang mit der Vogelgrippe
Berlin (aho) – Der Leiter der Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel, Dr. Wolf Dombrowsky (57), hat die ersten Maßnahmen zur Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen kritisiert und mit dem schlechten Zustand des deutschen Katastrophenschutzes begründet. „Die Ereignisse von Rügen zeigten wieder mal, dass unser Katastrophenschutz eine einzige Katastrophe ist“, sagte er der „Bild am Sonntag“ (BamS). Im Katastrophenschutz herrsche „Chaos und Kompetenz-Wirrwarr“. „Eifersüchteleien der Länder“ hätten dafür gesorgt, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe so gut wie keinen Einfluss habe, sagte Dombrowsky dem Blatt. Als Leiter der Katastrophenforschungsstelle der Uni Kiel hat er selbst am „Pandemieplan Deutschland“ mitgearbeitet. Und kann nicht fassen, dass die „bis ins Detail ausgearbeiteten Notfallpläne offenbar nicht in allen Landratsämtern angekommen sind“.
Der Kieler Experte fordert politische Konsequenzen: Die Länder bräuchten ein Weisungsrecht, wie es der Bund bei gravierenden Fehlern der Länder hat („Bundeszwang“): „Wenn Landräte sich mit ihren Krisenstäben nicht entsprechend auf Katastrophenfälle vorbereiten, sollten sie dazu gezwungen werden – oder aus dem Amt fliegen. Man kann doch nicht mit der Gesundheit eines ganzen Volkes herumtolpatschen.“ Dabei fehlt es nicht an politischem Willen: Nach den Terroranschlägen von New York wurden die Budgets für den Katastrophen- und Zivilschutz kräftig aufgestockt. Dombrowsky: „Das Dilemma ist nicht mehr das Geld, sondern die heillose Desorganisation. Die Ausbildung ist nicht optimal, die Übungen taugen nichts.“ Man könne nur hoffen, dass die EU bald – wie angekündigt – das deutsche System mit überwiegend ehrenamtlichen Einsatzkräften auf den Prüfstand stellt: „Von all den Helfern, die in den Akten geführt werden, ist maximal ein Drittel top, körperlich in Bestverfassung, fachlich auf höchstem Niveau. Der Rest ist mehr oder weniger statistisches Material.“ Dombrowsky schlug vor, eine hauptberufliche Spezialtruppe, „eine Art GSG 9 des Katastrophenschutzes“ zu gründen.
Dombrowsky, der Hunderte von Katastrophenfällen untersucht hat, rät der Bevölkerung grundsätzlich zu mehr Eigenvorsorge, anstatt sich auf den „hundsmiserablen“ Katastrophenschutz zu verlassen: „Wir kritisieren seit Jahren, dass es nicht einmal eine einheitliche Grundausbildung und eine Ausstattung an Fahrzeugen und Geräten gibt. Nichts passt zusammen. Es gibt nicht mal eine einheitliche Kennzeichnung von Führungskräften vor Ort“, wird der in der BamS zitiert
Das Chaos im Kampf gegen die Vogelgrippe war laut BamS programmiert. Schon im April 2003 machte die EU-Gesundheitsbehörde bei einer Inspektionsreise durch Deutschland Mängel in der Seuchenbekämpfung aus. Der Abschlußbericht, der der BamS angeblich vorliegt beklagt „Schwachpunkte in den Notstandsplänen vor allem auf Länderebene“. Weiter heißt es: „Die größten Schwächen betrafen fehlende Mittel für Tierseuchenübungen, den Umfang solcher Übungen, fehlende Seuchenszenarien und die Frage der Sicherstellung der Belieferung mit notwendigem Material“ – etwa mit Laborgerät. Die Seuchenübungen reichten nicht aus, „um sicherzustellen, dass die bestehenden Sicherungssysteme bei einem ernsthaften Seuchenausbruch funktionieren“. Die EU kontrollierte laut BamS auch Mecklenburg-Vorpommern – und stellte der Landesregierung kein gutes Zeugnis aus: „Der Informationsfluss und die Zusammenarbeit mit der zentralen Bundesbehörde (. . .) waren nicht sehr ausgereift und noch nie für den Ernstfall geprüft worden.“ Zudem sehe der Notfallplan keine regelmäßigen Kontrollen der Materialreserven vor: „Das hatte zur Folge, dass in einem Landkreis abgelaufene Desinfektionsmittel gefunden wurden.“